Die Systematik der gesetzlichen Sozialversicherung

Tätigkeitsstatus

Vertragsbeziehung

Verfassungsrechtlich geschützte Vertragsfreiheit

Leitsätze
  1. Auftraggeber und Auftragnehmer können den Vertragstyp frei bestimmen, sofern dadurch nicht gegen zwingende Vorschriften des geltenden Rechts oder gesetzliche Gebote ver­stoßen wird.

  2. Eine im Widerspruch zur ursprünglich getroffenen Vereinbarung stehende tatsächliche Be­ziehung und die sich hieraus ergebende Schlussfolgerung auf die tatsächliche Natur der Rechtsbeziehung, geht der formellen Vereinbarung vor.

Die in Deutschland als Ausfluss der allgemeinen Handlungsfreiheit durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Vertragsfreiheit ist die Ausprägung des Grundsatzes der Privatautonomie im deutschen Zivilrecht, die es jedermann gestattet, Verträge zu schließen, die sowohl hinsichtlich des Vertrags­partners als auch des Vertragsgegenstandes frei bestimmt werden können, sofern sie nicht gegen zwingende Vor­schriften des geltenden Rechts, gesetzliche Verbote oder die guten Sitten verstoßen. Die eigenbe­stimmte Gestaltung von Rechtsverhältnissen findet ihre Grenzen in der Entfaltungsfreiheit anderer.

Die Vertragsfreiheit besteht darin, beliebige gegenseitige Rechte und Pflichten begründen zu können, ohne an die gesetzlichen Vertragstypen gebunden zu sein. Verträge werden dann wirksam, wenn die Vertragsparteien inhaltlich übereinstimmende und aufeinander bezogene Willenserklärungen abge­ben.

Vertragsfreiheit bedeutet jedoch nicht, autonom begründete Rechtsbeziehungen beliebig einem be­stimmten gesetzlich vorgegebenen Vertragstypus zuordnen zu können. Wie die Vertragsbeziehung rechtlich zu qualifizieren ist, steht nicht im Belieben der Vertragsparteien. Für die materielle Rechtslage kommt es deshalb nicht entscheidend auf die Bezeichnung des Vertrages oder den Titel des Vertrags­verhältnisses an, sondern allein auf den Geschäftsinhalt, also die tat­sächliche Durchführung des Vertrages. Die von den Vertragsparteien gewünschte Rechts­folge kann mithin nur dann eintreten, wenn auch die tatsächliche Durchführung des Vertrages dem gewählten Vertragstypus entspricht.

Entspricht die tatsächliche Durchführung des Vertrages nicht der von den Vertragsparteien gewählten Vertragsbezeichnung, ist die rechtliche Einordnung des Vertrags­verhältnisses allein nach objektiv‐rechtlichen Kriterien vorzunehmen.

Rechtsfigur des Typus → Die Rechtsfigur des ›Typus‹

Umgestaltung des Geschäftsinhalts

Basierend auf dem Grundsatz der Vertragsfreiheit ist es grundsätzlich auch möglich, dass bei einer ent­sprechenden Umgestaltung des Geschäftsinhalts von einem Arbeitsverhältnis in ein freies Mitarbeiter­verhältnis gewechselt wird. Allerdings muss die Unternehmerentscheidung aus sachlich nachvollzieh­baren Gründen erfolgen und darf nicht rechtsmiss­bräuchlich sein; es darf sich somit nicht nur um die ›Verschleierung‹ eines Arbeitsverhältnisses handeln. Änderungen des Vertrags­verhältnisses, die zu einem Wechsel des sozialversicherungsrechtlichen Status führen, werden im Rahmen einer Sozialver­sicherungsprüfung regelmäßig einer näheren Betrachtung unterzogen.

Im Rahmen eines ggf. nach Beendigung der Vertragsbeziehung vom Arbeit­nehmer geführten Kündi­gungsschutzprozesses hätte dieser die Um­stände darzulegen und im Streitfall zu beweisen, aus denen sich ergeben soll, dass die getroffene innerbetriebliche Struktur­maßnahme offenbar unsachlich, unver­nünftig oder willkürlich ist.

SVMWIndex k1s2a1

Gesetzlich geregelte Vertragstypen (BGB)

Leitsätze
  1. Nicht die Bezeichnung des Vertrages, sondern der wirkliche Wille der Vertrags­parteien bestimmt den Geschäftsinhalt und damit den Ver­tragstyp.

  2. Die objektive Vertragstypenzuordnung erfolgt mittels einer typologischen Gesamtschau der die Leistung prägenden Merkmale.

Betriebliches Organisationsverschulden

Jedes am Rechtsverkehr teilnehmende Unternehmen muss seine Betriebspflichten lückenlos aus allen verfügbaren Rechtsquellen ermitteln. Auf eine etwaige fehlende Kenntnis von Gesetzen oder ein­schlägiger Rechtsprechung kann sich der Arbeitgeber deshalb grundsätzlich nicht berufen. Im Rahmen seiner Organisationspflichten muss sich der Arbeitgeber in Bezug auf den Aufbau des Betriebes und der Abläufe innerhalb des Unternehmens organisatorisch so einrichten, dass er dem Grunde nach in der Lage ist, allen seinen rechtlichen Verpflichtungen nachkommen zu können.

Das bedeutet vor allem, dass der Arbeitgeber Personen auswählt und einsetzt, die auch tatsächlich zur Erfüllung der Betriebspflichten in der Lage sind und reagiert, wenn die Kenntnis‑ und Wissenslage im Unternehmen entsprechende organisatorische Ände­rungen erforderlich machen. Der Arbeitgeber muss zudem sicherstellen, dass die Repräsentanten des Unternehmens, die dazu berufen sind, im Rechts­verkehr bestimmte Aufgaben in eigener Verantwortung wahrzunehmen, die rechtserheblichen Infor­mationen an die betrieblichen Entscheidungsträger weiterleiten, damit diese sie auch zur Kenntnis nehmen können. Darüber hinaus muss der Arbeitgeber sein Personal in einer gewissen Regelmäßigkeit überprüfen und bei Mängeln für Abhilfe sorgen. Durch diese Verpflichtungen soll verhindert werden, dass sich ein Arbeitgeber durch die Auswahl offensichtlich ungeeigneten Personals oder der bewussten Abkehr oder Nichteinrichtung von Kommuni­kationswegen, bewusst ›rechtsblind‹ macht, um damit recht­liche Konsequenzen aus der Nichtbeachtung der Betriebspflichten (z. B. die Erhebung von Säum­niszuschlägen) zu verhindern.

Die Nichterfüllung von Verkehrssicherungspflichten, Verletzung von Organisationspflichten oder Nicht­erfüllung sonstiger erforderlicher Maßnahmen im Rahmen der betrieblichen Organisation wird als ›Orga­nisa­tions­verschulden‹ bezeichnet. Die Rechtsfigur des ›Betrieblichen Organisa­tions­verschuldens‹ wurde von der Rechtsprechung entwickelt und ist ein Unterfall der unerlaubten Handlung.

Merkmale für ein Organisationsversagen

Organisationsverschulden

↙ ↓ ↘

Selektionsverschulden

Anweisungsverschulden

Überwachungsverschulden

Betriebliches Organisationsverschulden

Organisationsbedingte Fehler, bei denen es zu einer Haftung aufgrund eines betrieblichen Organi­sationsverschuldens kommen kann:

  • Selektionsverschulden
    Das Unternehmen ist bei der Personalauswahl nicht sorgsam und delegiert bestimmte Aufgaben und/oder Verantwortung an einen Mitarbeiter, der hierfür nicht geeignet oder qualifiziert ist.

  • Anweisungsverschulden
    Das Unternehmen versäumt es, erforderliche Anweisungen zur Wahrnehmung bestimmter Ar­beits­aufgaben zu erteilen oder die Anweisungen sind nicht vollständig bzw. enthalten Fehler (sogenann­tes ›Anweisungsverschulden‹).

  • Überwachungsverschulden
    Das Unternehmen überwacht die betrieblichen Abläufe und die Ausführung delegierter Aufgaben und Verantwortung nicht ausreichend oder gar nicht.

›Compliance‐Management‐System‹

Zur Vermeidung eines betrieblichen Organisationsverschuldens sollte jeder Arbeitgeber für seinen Betrieb eine Compliance‐Strategie entwickeln und ein Compliance‐Management‐System einrichten. ›Com­pliance‹ ist die betriebswirtschaftliche und rechtswissenschaftliche Umschreibung für die Regel­treue von Unternehmen, also die Einhaltung von Gesetzen, Richtlinien und freiwilligen Kodizes. ›Compliance‹ betrifft also nicht nur Fragen der Korruption, sondern umfasst die Gesamtheit aller Maß­nahmen, um das rechtmäßige Verhalten der Unternehmen, der Organmitglieder und der Mitarbeiter im Blick auf alle gesetzlichen Gebote und Verbote, sowie sämtlicher unternehmensinternen Richtlinien zu gewähr­leisten.

Zentrale Bestandteile eines effektiven Compliance‐Managements sind die Festlegung klarer Verantwor­tungs‑ und Zuständigkeitsbereiche sowie eine Kontrolle der eingeleiteten Maßnahmen. Um das Risiko von Rechtspflichtverletzungen zu minimieren, sollte das Unternehmen sein Personal sorgsam aus­wählen, rechtserhebliche Informationen einholen und weitergegeben und die Abläufe im Unternehmen so organisieren, dass über nachvollziehbare Verantwortlichkeiten das Risiko von Rechtsverstößen wei­testgehend eingegrenzt wird. Zudem sollte das Unternehmen sein Personal in regel­mäßigen Abständen auf ihre Eignung hin überprüfen, bei Mängeln für Abhilfe sorgen und über die Einrichtung und Nach­haltigkeit von Kommunikationswegen ein gesetzeskonformes Verhalten zu gewährleisten. Insoweit handelt es sich um das präventive Element von Compliance.

Zur Verhinderung von sozialversicherungs­rechtlichen ›Scheinselbständigkeiten‹ sollte im Compliance‐Management‐System auch der Hinweis auf die Möglichkeit des Anfrageverfahrens nach § 7a SGB IV für ›objektive Zwei­felsfälle‹ implementiert sein.

Anfrageverfahren → Clearingstelle

Verstöße gegen sogenannte ›Compliance‐Standards‹ und das damit einhergehende Organisations­ve­rschul­den führen nicht selten zu strafrechtlicher Verant­wortlichkeit von Managern. Der Bundes­gerichts­hof hat jedoch das Vorhandensein eines effizienten Compliance‐Management‐Systems als straf­min­dernd bewertet. Wurden in der Folge einer Normverletzung entsprechende Regelungen opti­miert und die betriebsinternen Abläufe so gestaltet, dass vergleichbare Normverletzungen zukünftig jedenfalls deutlich erschwert werden, ist von einem Organisa­tionsverschulden grundsätzlich nicht aus­zugehen. Ein funktionierendes und adäquat dokumentiertes Compliance‐Management‐System kann somit dazu beitragen, die Annahme eines betrieblichen Organisationsversagens und damit auch den Verdacht einer bewussten Zuwiderhandlung zu entkräften.

Wer als Inhaber eines Betriebes oder Unternehmens vorsätzlich oder fahrlässig die Aufsichtsmaß­nahmen unterlässt, die erforderlich sind, um in dem Betrieb oder Unternehmen Zuwiderhandlungen gegen Pflichten zu verhindern, die den Inhaber treffen und deren Verletzung mit Strafe oder Geldbuße bedroht ist, handelt ordnungswidrig, wenn eine solche Zuwiderhandlung begangen wird, die durch gehörige Aufsicht verhindert oder wesentlich erschwert worden wäre. Der Bußgeldtatbestand des § 130 Abs. 1 OWiG gestattet den deutschen Justizbehörden neben Straftaten auch eine Aufsichts­pflichtverletzung und ein Organisationsverschulden aufzuklären.

SVMWIndex k1s2a2

Dienstvertrag

Leitsatz
  1. Im Rahmen eines freien Dienstvertrages führt der Dienstverpflichtete die geschuldeten Dienste unter eigener Verantwortung und nach eigenem Plan aus.

SVMWIndex k1s2a3

Arbeitsvertrag

Leitsätze
  1. Weisungsgebunden ist, wer nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Der Grad der persönlichen Abhängigkeit hängt dabei auch von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit ab.

  2. Liegt nach arbeitsrechtlichen Grundsätzen ein Arbeitsverhältnis vor, ist regelmäßig auch von einem Beschäftigungsverhältnis im Sinne des Sozialversicherungsrechts auszugehen.

Nachweis der Vertragsbedingungen

Im Regelfall wird ein Arbeitsverhältnis durch einen schriftlichen Arbeitsvertrag geschlossen. Ein tarif­liches Schriftformgebot für den Abschluss von Arbeitsverträgen hat aber regelmäßig keine konsti­tutive Bedeutung. Ein Arbeitsvertrag kann trotz Schriftformgebots auch durch das übereinstimmende, schlüs­sige Verhalten von Arbeitnehmer und Arbeitgeber entstehen, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitskraft bereit­stellt und der Arbeitgeber ihn in die Arbeitsorganisation seines Betriebes eingliedert. Arbeitneh­mer und Arbeitgeber erklären in diesem Fall ›konkludent‹ Angebot und Annahme des Arbeitsver­trags. Soweit die Vertragsbedingungen wesentlich sind, richtet sich ihr Nachweis nach den Bestim­mungen des Nachweisgesetzes.

Änderung des Nachweisgesetzes zum 1. August 2022

Das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union haben am 20. Juni 2019 die Richtlinie (EU) 2019/1152 über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union (›Arbeitsbedingungenrichtlinie‹) veröffentlicht. Die Arbeitsbedingungenrichtlinie wird im Wesentlichen durch Änderungen des Nachweisgesetzes (NachweisG) umgesetzt.

Die neuen Nachweispflichten gelten unmittelbar gegenüber allen Arbeitnehmern, die ihr Beschäf­ti­gungs­verhältnis ab dem 1. August 2022 beginnen. Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis bereits vorher bestanden hat, können vom Arbeitgeber verlangen, dass Ihnen die im NachweisG genannten wesent­lichen Arbeitsbedingungen innerhalb von einer Woche ausgehändigt werden.

Nachweisgesetz (ab 1. August 2022)

Der Katalog der Nachweispflichten für die wesentlichen Arbeitsbedingungen wurde ab 1. August 2022 erheblich erweitert. Nachzuweisen sind gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 NachwG:

  1. Der Name und die Anschrift der Vertragsparteien,
  2. der Zeitpunkt des Beginns des Arbeitsverhältnisses,
  3. bei befristeten Arbeitsverhältnissen: Das Enddatum oder die vorhersehbare Dauer des Arbeits­verhältnisses,
  4. der Arbeitsort oder, falls der Arbeitnehmer nicht nur an einem bestimmten Arbeitsort tätig sein soll, ein Hinweis darauf, dass der Arbeitnehmer an verschiedenen Orten beschäftigt werden oder seinen Arbeitsort frei wählen kann,
  5. eine kurze Charakterisierung oder Beschreibung der vom Arbeitnehmer zu leistenden Tätig­keit,
  6. sofern vereinbart, die Dauer der Probezeit,
  7. die Zusammensetzung und die Höhe des Arbeitsentgelts einschließlich der Vergütung von Überstunden, der Zuschläge, der Zulagen, Prämien und Sonderzahlungen sowie anderer Bestandteile des Arbeitsentgelts, die jeweils getrennt anzugeben sind, und deren Fälligkeit sowie die Art der Auszahlung,
  8. die vereinbarte Arbeitszeit, vereinbarte Ruhepausen und Ruhezeiten sowie bei vereinbarter Schichtarbeit das Schichtsystem, der Schichtrhythmus und Voraussetzungen für Schicht­änderungen,
  9. bei Arbeit auf Abruf nach § 12 des Teilzeit‑ und Befristungsgesetzes:
    a) die Vereinbarung, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung entsprechend dem Arbeitsanfall zu erbringen hat,
    b) die Zahl der mindestens zu vergütenden Stunden,
    c) der Zeitrahmen, bestimmt durch Referenztage und Referenzstunden, der für das Erbrin­gen der Arbeitsleistung festgelegt ist, und
    d) die Frist, innerhalb derer der Arbeitgeber die Lage der Arbeitszeit im Voraus mitzuteilen hat,
  10. sofern vereinbart, die Möglichkeit der Anordnung von Überstunden und deren Voraus­set­zungen,
  11. die Dauer des jährlichen Erholungsurlaubs,
  12. ein etwaiger Anspruch auf vom Arbeitgeber bereitgestellte Fortbildung,
  13. wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine betriebliche Altersversorgung über einen Ver­sor­gungs­träger zusagt, der Name und die Anschrift dieses Versorgungsträgers; die Nach­weis­pflicht entfällt, wenn der Versorgungsträger zu dieser Information verpflichtet ist,
  14. das bei der Kündigung des Arbeitsverhältnisses von Arbeitgeber und Arbeitnehmer einzu­hal­tende Verfahren, mindestens das Schriftformerfordernis und die Fristen für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses, sowie die Frist zur Erhebung einer Kündigungs­schutzklage; § 7 des Kündigungsschutzgesetzes ist auch bei einem nicht ordnungsgemäßen Nachweis der Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage anzuwenden,
  15. ein in allgemeiner Form gehaltener Hinweis auf die auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Tarifverträge, Betriebs‑ oder Dienstvereinbarungen sowie Regelungen paritätisch besetzter Kommissionen, die auf der Grundlage kirchlichen Rechts Arbeitsbedingungen für den Bereich kirchlicher Arbeitgeber festlegen.

SVMWIndex k1s2a4

Werkvertrag

Leitsätze
  1. Eine der wesentlichen Voraussetzungen für einen Werkvertrag ist die Vereinbarung über die Erstellung eines qualitativ individualisierbaren und dem Werkunternehmer zurechen­baren Werkergebnisses.

  2. der Werkunternehmer schuldet dem Werkbesteller die vertragsgemäße, mangelfreie und rechtzeitige (fristgerechte) Herstellung des Werkes.

  3. Der Werkunternehmer organisiert die zur Erreichung eines wirtschaftlichen Erfolges not­wendigen Handlungen selbst, wobei er sich auch der Mitarbeit von eigenen Erfüllungsge­hilfen bedienen kann.

SVMWIndex k1s2a5

Versicherungspflicht versus Vertragsfreiheit

Leitsätze
  1. Der soziale Schutzzweck der solidarischen Sozialversicherung kann nicht allein durch die Wahl einer Vertragsgestaltung unterlaufen werden.

  2. Die Vertragsschließenden haben hinsichtlich der Anwendung der sozialversicherungsrecht­lichen Vorschriften kein Dispositionsrecht.

Einheitliches Beschäftigungsverhältnis

Grundsätzlich ist es zwar möglich, dass zwei versicherungspflichtige (Teilzeit‑)Beschäftigungen bei ei­nem Arbeitgeber bestehen, die jeweils einen Anspruch auf Teilarbeitslosengeld auslösen können, wenn für beide Beschäftigungen formal zwei getrennte Arbeitsverträge vorliegen und der Arbeitneh­mer in den jeweiligen Betrieb bzw. Betriebsteil oder die organisatorische Einheit eingegliedert ist. Aller­dings wirken sich die zum Leistungsrecht der Arbeitslosen­versicherung ergangen Entscheidungen nicht auf das Versicherungs‑ und Beitragsrecht der Sozialversicherung aus. Der Begriff der Beschäftigung im Leistungs‑ und Beitragsrecht muss jeweils funktionsdifferent ausgelegt werden. Von einer leis­tungs­rechtlich möglichen Mehrfachbeschäftigung beim selben Arbeitgeber kann daher nicht auf eine iden­tische Rechtslage bei der Beurteilung von Versicherungspflicht geschlossen werden.

Mehrere Beschäftigungen bei demselben Arbeitgeber werden versicherungsrechtlich als eine Einheit betrachtet. Übt ein Arbeitnehmer bei demselben Arbeitgeber gleichzeitig mehrere Beschäftigungen aus, ist versicherungs‑ und beitragsrechtlich – ohne Rücksicht auf die arbeitsvertragliche Gestaltung – von einem einheitlichen Beschäftigungsverhältnis auszugehen. Eine neben einer versicherungspflich­tigen Beschäftigung ausgeübte geringfügige Beschäftigung ist deshalb nur versicherungsfrei, wenn sie nicht für denselben Arbeitgeber ausgeübt wird.

Von einem einheitlichen Beschäftigungsverhältnis bei demselben Arbeitgeber ist auch dann auszu­gehen, wenn neben der Berufung in ein Beamtenverhältnis auch ein privatrechtlicher Arbeitsvertrag geschlossen wird (z. B. Professoren, die gleichzeitig Chefärzte an Universitätskliniken sind).

SVMWIndex k1s2a6

Scheinselbständigkeit

Leitsatz
  1. Wer nur zum Schein selbständig ist, geht in Wirklichkeit einer nichtselbständigen Erwerbs­arbeit nach und ist Arbeitnehmer im arbeitsrechtlichen Sinne bzw. Beschäftigter im Sinne des Sozialversicherungsrechts.

In der Praxis versuchen die Vertrags­parteien nicht selten, durch ›Vertragsakrobatik‹ eine eigentlich nichtselbständige Erwerbsarbeit als selbständige Erwerbsarbeit darzustellen. Im allgemeinen Sprach­gebrauch wird die Erwerbsperson dann als sogenannter ›Scheinselbständiger‹ bezeichnet.

Illegale Beschäftigung → Scheinselbständigkeit

Ob jemand eine selbständige Erwerbsarbeit erbringt oder als nichtselbständiger Arbeitnehmer einzustufen ist, richtet sich nach Kriterien, die in den betroffenen Rechtsgebieten (Steuer‑, Arbeits‑ und Sozialversicherungsrecht) eigenständig definiert sind.

Einheitliche Rechtsordnung → Statuskongruenz

Der Begriff des ›Scheinselbständigen‹ hat keine eigene rechtliche Bedeutung. Wer nur zum Schein selb­ständig ist, geht in Wirklichkeit einer nichtselbständigen Erwerbsarbeit nach und ist Arbeit­nehmer im arbeitsrechtlichen Sinne bzw. Beschäftigter im Sinne des Sozialversicherungsrechts. In allen Fäl­len, in denen es um die Scheinselbständigkeit eines freien Mitarbeiters geht, steht die Frage nach der Weisungsgebundenheit und Eingliederung der Erwerbsperson im Mittelpunkt.

Statusbewertung des Vertragsverhältnisses → Direktionsrecht/Weisungsrecht des Arbeitgebers

Statusbewertung des Vertragsverhältnisses → Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers

SVMWIndex k1s2a7

Folgen der ›Scheinselbständigkeit‹

Leitsätze
  1. Die Feststellung einer ›Scheinselbständigkeit‹ führt dazu, dass der Auftrag­geber für den Beschäftigten Sozialversicherungsbeiträge im Rahmen der Verjährungsfristen nachzuent­richten hat.

  2. Wird ein (bedingt) vorsätzliches Handeln nachgewiesen, gilt im Sozialversicherungsrecht ein Nettolohn als vereinbart und der Auftrag­geber hat Säumniszuschläge zu zahlen.

Anspruch gegenüber dem Beschäftigten

Im Falle einer festgestellten ›Scheinselbständigkeit‹ hat der Arbeitgeber gegenüber dem Beschäftigten nur einen gesetzlich eingeschränkten Anspruch auf die vom ihm im Rahmen der Beitragsnachentrich­tung zu tragenden Arbeitnehmeranteile.

Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge → Der Beitragsschuldner

Einschränkungen des § 28g SGB IV
  1. Der Arbeitnehmeranteil kann nur durch Abzug vom Arbeitsentgelt geltend gemacht werden.

    Besteht das Arbeitsverhältnis nicht mehr bzw. ist kein Lohn mehr abzurechnen, ist eine nachträgliche Zahlungsaufforderung des Arbeitgebers an seinen ehemaligen Arbeitneh­mer rechtlich ausge­schlossen.

  2. Ein infolge der Scheinselbständigkeit unterbliebener Abzug darf nur bei den drei nächsten Lohn‑ oder Gehaltszahlungen nachgeholt werden, darüber hinaus nur dann, wenn der Ab­zug ohne Verschulden des Arbeitgebers unterblieben ist.

Nichteinleitung eines Statusfeststellungsverfahrens

Da der Arbeitgeber nach § 7a SGB IV die Möglichkeit hat, den versicherungsrechtlichen Status eines Auftrag­nehmers im Zweifelsfall durch die Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung Bund ver­bindlich klären zu lassen, kann ein bloßer Rechtsirrtum nicht von vornherein angenommen werden.

Clearingstelle → Das optionale Anfrageverfahren

Zwar kann im Rahmen des bedingten Vorsatzes grundsätzlich vorwerfbar sein, wenn ein Arbeitgeber bei Unklar­heiten hinsichtlich der versicherungs‑ und beitragsrechtlichen Beurteilung einer Erwerbs­tätigkeit darauf verzichtet, die Entscheidung einer fachkundigen Stelle herbeizuführen. Allerdings darf nicht das gesamte Risiko der Einordnung komplexer sozialversicherungsrechtlicher Wertungs­fragen den Arbeitgebern überantwortet werden, so dass sich Schematisierungen verbieten.

Eine fahrlässig unterbliebene Einleitung eines Statusfeststellungsverfahrens nach § 7a SGB IV oder fehlende Herbeiführung einer Entscheidung der Einzugsstelle nach § 28h SGB IV schließt die unver­schuldete Unkenntnis deshalb nicht von vornherein aus. Das fakultativ ausgestaltete Statusfeststel­lungsverfahren würde sonst entgegen dem Gesetzeswortlaut des § 7a Abs. 1 Satz 1 SGB IV faktisch obli­gatorisch sein.

Hegt der Arbeitgeber aber Zweifel an dem Status einer Erwerbsperson, muss er diesen klä­ren lassen und kann sich nicht darauf berufen, diesen lediglich verkannt zu haben. Verzichtet der Arbeitgeber in diesem Fall darauf, sich fachlich beraten zu lassen und drängt sich das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung auf, können ihm die Folgen der fehlerhaften Beurteilung angelastet werden. Bedingter Vorsatz gilt als belegt, wenn der Arbeitgeber einen Clearingantrag zurücknimmt oder an dem Clearing­verfahren nicht mit­wirkt.

Der Verzicht auf die Einleitung eines Statusfeststellungsverfahrens kann zumindest dann vorwerfbar im Sinne des (bedingten) Vorsatzes sein, wenn ein derart eindeutiger Fall einer abhängigen Beschäf­tigung und somit einer nur scheinbaren Selbständigkeit vorliegt, dass dies zu erkennen auch vom Arbeitgeber als juristischem Laien hätte erwartet werden müssen.

SVMWIndex k1s2a8