Die Systematik der gesetzlichen Sozialversicherung

Tätigkeitsstatus

Abgrenzung von Beschäftigung und Selbständigkeit

Statusbewertung des Vertragsverhältnisses

Leitsätze
  1. Das Beschäftigungsverhältnis ist ein Rechtsverhältnis, das auf faktischer und nicht aus­schließlich auf vertraglicher Grundlage beruht.

  2. Maßgebend ist die Rechtsbeziehung so, wie sie praktiziert wird und die praktizierte Be­ziehung so, wie sie rechtlich zulässig ist.

Sowohl die Versicherungs‑ als auch die Beitragspflicht in der gesetzlichen Kranken‑, Pflege‑, Renten‑ und Arbeitslosenversicherung knüpfen grundsätzlich an den Begriff der ›Beschäftigung‹ im Sinne nicht­selbständiger Arbeit an. Ob bei Vorliegen einer Beschäftigung im Einzelfall tatsächlich Ver­sicherungs­pflicht/‑freiheit im Rahmen ›Beschäftigtenversicherung‹ besteht, ergibt sich jeweils erst in der Zusam­menschau der Normen über die Versicherungspflicht in den einzelnen Versicherungs­zweigen und der spezialgesetzlichen Regelungen über die Versicherungsfreiheit und Befreiung von der Versiche­rung.

Das deutsche Sozialversicherungsrecht sieht keine personenbezogene Statuseinstufung vor, sondern es ist stets das jeweilige Vertragsverhältnis einer Statusbewertung zu unterziehen.

Im Rahmen der Vertragsfreiheit können zahlreiche Tätigkeiten sowohl im Rahmen eines Arbeitsver­hältnisses bzw. Beschäftigungsverhältnisses wie auch als freies Mitarbeiterverhältnis verrichtet werden. Es gibt jedoch auch Tätigkeiten, die sich wegen ihrer Eigenart nur im Rahmen einer nichtselbständigen Er­werbsarbeit erbringen lassen.

Vertragsbeziehung → Gesetzlich geregelte Vertragstypen (BGB)

Sowohl das Arbeitsrecht als auch das Sozial‑ und Steuerrecht orientieren sich bei der Abgrenzung der nichtselbständigen von der selbständigen Erwerbsarbeit an der Definition des § 84 Abs. 1 Satz 2 HGB.

Statuskongruenz → § 84 Abs. 1 Satz 2 HGB (allgemeine gesetzliche Wertung)

Die Spitzenorganisationen der Sozialversicherung stellen mit den Hinweisen vom 21. März 2019 zur Statusfeststellung von Erwerbstätigen Grundsätze zur Verfügung, die der Sicherung einer einheitlichen Rechtsanwendung dienen sollen.

Nützliche Internet-Direktverbindungen → Rundschreiben der Spitzenorganisationen der Sozialversicherung

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Das ›formelle‹ Beschäftigungsverhältnis

Liegen schriftliche Vereinbarungen vor, so ist neben deren Vereinbarkeit mit zwingendem Recht auch zu prüfen, ob mündliche oder konkludente Änderungen erfolgt sind. Diese sind ebenfalls nur maßge­bend, soweit sie rechtlich zulässig sind. Aus einer möglicherweise faktischen Nichtwahrnehmung der sich aus dem Vertragsverhältnis ergebenden Aufsichts‑, Kontroll‑ und Weisungsrechte durch den Auf­traggeber kann nicht geschlossen werden, dass dadurch die ihnen zu Grunde liegenden Rechte und Pflich­ten ›stillschweigend‹ abbedungen worden sind. Die einem Beteiligten aufgrund der Vereinba­rungen zuste­hende Rechtsmacht ist – unabhängig von ihrer Ausübung – solange maßgeblich, bis diese Rechts­position wirksam abbedungen ist.

Bezeichnung des Vertrages

Auf die Bezeichnung des Vertrages oder den Titel des Vertrags­verhältnisses kommt es bei der Bestim­mung der Vertragsart grundsätzlich nicht an. Wird aber ein schriftlicher ›Arbeitsvertrag‹ geschlos­sen, der nicht nur nach der Bezeichnung, sondern auch nach seinem festgestellten Inhalt typische Arbeit­neh­merrechte und ‑pflichten zum Gegenstand hat (z. B. monatliches Gehalt, Einstellung als Voll­zeit­kraft, Zustimmungserfordernis des Arbeitgebers zu etwaigen Nebentätigkeiten, Festlegung der Arbeits­zeiten durch den Arbeitgeber), kann eine zur Versicherungspflicht des Arbeitnehmers führende Be­schäf­tigung regelmäßig nicht in Abrede gestellt werden.

Einheitliche Rechtsordnung → Nähe zum Arbeitsrecht

Der Parteiwille

Durch den im Vertrag dokumentierten Parteiwillen, keine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung begründen zu wollen, wird eine Selbständigkeit nicht vorfestgelegt. Eine sich aus den von den Parteien getroffenen Vereinbarungen ergebende Versicherungs‑ und Beitragspflicht in der Renten‑, Kranken‑, Pflege‑ und Arbeitslosenversicherung kann nicht vertraglich ausgeschlossen werden. Vertragsbestim­mungen, die dem zuwiderlaufen, sind nichtig.

Versicherungspflicht versus Vertragsfreiheit → Indisponibler Versicherungsschutz

Vertragsklauseln

Vertragsklauseln, die darauf gerichtet sind an den Arbeitnehmer‑ bzw. Beschäftigtenstatus an­knüpfende arbeits‑, steuer‑ und sozialrechtliche Regelungen abzubedingen bzw. zu ver­meiden, z. B. die

  • Nichtgewährung von Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und Urlaub bzw. Urlaubsgeld,

  • Verpflichtung, Einnahmen selbst zu versteuern,

  • Obliegenheit, für mehrere Auftraggeber tätig zu werden und

  • für eine Sozialversicherung selbst zu sorgen,

lassen – auch wenn sie in der Praxis tatsächlich umgesetzt werden – ausschließlich Rückschlüs­se auf den Willen der Vertragsparteien zu. Ihnen kommt im Rahmen der vorzuneh­menden Gesamtabwägung keine eigenständige Bedeutung zu.

Gesamtschau der Vertragsbeziehung

Einer vertraglichen Vereinbarung, keine sozialversiche­rungspflichtige Beschäftigung begründen zu wol­len, kommt nach der Rechtsprechung des Bundes­sozialgerichts nur dann indizielle Bedeutung zu, wenn dieser Wille den festgestellten sonstigen tat­sächlichen Verhältnissen nicht offensichtlich wider­spricht und er durch weitere Aspekte gestützt wird bzw. die übrigen Umstände gleichermaßen für Selbstän­digkeit wie für eine Beschäftigung sprechen. Dabei ist das Gewicht dieses Indizes umso geringer, je weniger eindeutig die Vertrags­gestaltung ist und je stärker die Widersprüche zu den tatsächlichen Verhältnissen sind.

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Das ›faktische‹ Beschäftigungsverhältnis

Das Beschäftigungsverhältnis ist ein Rechtsverhältnis, das auf faktischer und nicht ausschließlich auf vertraglicher Grundlage beruht. Maßgeblich ist die Rechtsbeziehung so wie sie praktiziert wird und die praktizierte Beziehung so wie sie rechtlich zulässig ist.

Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbständig tätig ist, richtet sich nach dem Gesamtbild der Arbeitsleistung und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Bei der Feststellung des Gesamt­bilds kommt den tatsächlichen Verhältnissen nicht voraussetzungslos ein Vorrang gegenüber den ver­traglichen Abreden zu. Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tat­sächliche Beziehung und die hieraus gezogene Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung geht der nur formellen Vereinbarung vor, soweit eine ›formlose‹ Abbedingung recht­lich möglich ist.

Gesamtschau der Vertragsbeziehung

Wenn sich bei der Abwägung der tatsächlichen Umstände des Vertragsverhältnisses kein eindeutiges Übergewicht für die eine oder die andere Seite ergibt, darf nicht ›im Zweifel‹ eine abhängige Beschäf­tigung angenommen werden. Für die Rechtsauffassung, im Zweifelsfall sei aufgrund einer angenom­menen Schutz­bedürftigkeit eher eine abhängige als eine selbständige, unternehmerische Tätigkeit anzu­nehmen, fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage. Sie kann auch nicht aus der Syste­matik des Sozialversicherungsrechts abgeleitet werden, die grundsätzlich auf die Verknüpfung der Sozialversiche­rungspflicht mit der abhängigen Beschäftigung abstellt und nur ausnahmsweise gesetzlich genau um­rissene Personen­kreise, bei denen dieses Merkmal nicht vorzuliegen braucht, mit in die Ver­siche­rungspflicht einbezieht. In diesen Fällen kommt dem in den vertraglichen Vereinbarungen zum Aus­druck kommenden über­einstimmenden Willen der Vertragschließenden eine ausschlaggebende Be­deu­tung zu, sofern nicht zwingende Vorschriften des Sozialversicherungsrechts verletzt werden.

Lässt sich nicht bereits anhand der tatsächlichen Ausgestaltung einer Erwerbstätigkeit feststellen, ob es sich um eine abhängige Beschäftigung oder um eine selbständige Tätigkeit handelt und ist auch dem Vertrag kein übereinstimmender Wille der Vertragschließenden zu entnehmen, kann das bisherige Berufsleben als Indiz dafür dienen, was der Auftragnehmer gewollt hat.

Auftragnehmer ist eine rechtsfähige Personengesellschaft

Ist der Auftragnehmer eine rechtsfähige Personengesellschaft (z. B. OHG, KG, GmbH & Co. KG, Part­ner­schaftsgesellschaft, GbR), schließt dies ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis zu einem Dritten (Auftraggeber) im Regelfall aus. Dennoch können aufgrund der vertraglichen Vereinbarungen im Ein­zelfall die Merkmale einer abhängigen Beschäftigung mit entsprechender Weisungsgebundenheit ge­genüber den Merkmalen einer selbständigen Tätigkeit überwiegen. Dies gilt grundsätzlich auch, sofern es sich bei dem Auftragnehmer um eine Ein‐Personen‐Gesellschaft (z. B. Ein‐Personen‐GmbH bzw. Ein‐Personen‐Limited) handelt.

Spricht das Gesamtbild der für den Auftraggeber tatsächlich erbrachten Arbeitsleistung für eine abhän­gige Beschäftigung, so ändert auch die vom Auftragnehmer gewählte Rechtsform daran nichts. Insbe­son­dere bei typischen Beschäftigungsverhältnissen – wie beispielsweise bei den nicht programm­gestaltenden Mitarbeitern in der Film‑ und Fernsehproduktion kann die Gründung einer Ein‐Personen‐GmbH oder Ein‐Personen‐Limited nicht zur Umgehung eines sozialversicherungspflichtigen Beschäfti­gungs­verhältnisses führen. Beurteilt nach den maßgebenden tatsächlichen Ver­hältnissen sind diese Personen in der Regel als Arbeitnehmer weisungsgebunden in die Arbeitsorganisation der auf­trag­ge­benden Unternehmen eingegliedert.

Abgrenzung von Beschäftigung und Selbständigkeit → Nicht programmgestaltende Mitarbeit

Bei einer GbR ist ein ernsthafter Rechtsbindungswille des Auftragnehmers gefordert, seine Tätigkeit in der Rechtsform der GbR ausüben zu wollen. Wurde die Gründung der GbR nur zur Umgehung der Sozialversicherungspflicht vom Auftraggeber veranlasst, die GbR also nur zum Schein gegründet, sind die Eingliederung in den Betrieb des Auftraggebers und das Nichtvorhandensein eines unter­neh­merischen Risikos beim Auftragnehmer die maßgebenden Kriterien für die Feststellung eines Beschäf­tigungsverhältnisses.

☆ ☆ ☆
Besonderer Fokus im Rahmen der Sozialversicherungsprüfung

Lässt der Auftraggeber gleichartige Aufgaben durch Selbständige und durch Arbeitnehmer verrichte­ten, stellt sich die dringliche Frage, welche Unterschiede eine abweichende Statusbewertung recht­fertigen können. Dies dürfte im Sozialversicherungsrecht allenfalls in Sonderfällen dann möglich sein, wenn der Umgang mit den angestellten Mitarbeitern gänzlich anders gestaltet ist, als die Zusammen­arbeit mit den selbständigen Mitarbeitern und die selbständigen Mitarbeiter zudem ein (echtes) Unternehmer­risiko tragen.

Vertragsbeziehung → Scheinselbständigkeit

Auch wenn das im alten § 7 Abs. 4 SGB IV vom Gesetzgeber fingierte sogenannte ›Vermutete Be­schäftigungsverhältnis‹ inzwischen Geschichte ist, sind die dort genannten Kriterien auch weiterhin von Bedeutung.

Im Rahmen der turnusmäßig von den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung durchzuführenden Sozialversicherungsprüfungen dürften gerade die Auftragnehmer für eine Status­überprüfung relevant sein, die vorher für denselben Auftraggeber im Rahmen eines Arbeits‑ bzw. Beschäftigungsverhält­nisses tätig waren. Auch wenn der Auftraggeber entsprechende Tätigkeiten regelmäßig durch von ihm beschäftigte Arbeitnehmer durchführen lässt, drängt sich eine Statusüberprüfung der ›freien Dienst­nehmer‹ auf.

§ 7 Abs. 4 SGB IV (Fassung bis 31. Dezember 2002)

Sozialversicherungsrecht → Vermutetes Beschäftigungsverhältnis

Die Rechtsvorschrift des § 7 Abs. 4 SGB IV in der Fassung bis 31. Dezember 2002 bestimmte, dass ein Beschäftigungsverhältnis gegen Entgelt bei erwerbsmäßig tätigen Per­sonen stets dann vermutet wird, wenn bei ihnen mindestens drei der folgenden fünf Merk­male vorliegen:

  • Im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit wird regelmäßig kein versicherungspflichtiger Arbeit­nehmer beschäftigt, dessen Arbeitsentgelt aus diesem Beschäftigungsverhältnis regelmäßig 325 Euro (damalige monatliche Geringfügigkeitsgrenze) übersteigt.

  • Sie sind auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig.

  • Ihr Auftraggeber oder ein vergleichbarer Auftraggeber lässt entsprechende Tätigkeiten re­gelmäßig durch von ihm beschäftigte Arbeitnehmer durchführen.

  • Ihre Tätigkeit lässt keine typischen Merkmale für unternehmerisches Handeln erkennen.

  • Ihre Tätigkeit entspricht dem äußeren Erscheinungsbild nach der Tätigkeit, die sie für den sel­ben Auftraggeber zuvor auf Grund eines Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt hatten.

SVMWIndex k1s5a1

Der Begriff ›Beschäftigungsverhältnis‹

Leitsätze
  1. Beschäftigung ist die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis.

  2. Das charakteristische Merkmal der nichtselbständigen Erwerbsarbeit ist die ›persönliche Abhän­gigkeit‹.

  3. Persönliche Abhängigkeit erfordert Eingliederung in den Betrieb und Unterordnung unter das Weisungsrecht des Arbeitgebers in Bezug auf Zeit, Dauer, Ort sowie Art und Weise der Arbeitsdurchführung.

Der Begriff des ›Beschäftigungsverhältnisses‹ ist gesetzlich nicht eindeutig definiert. »Beschäftigung ist die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Be­schäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsor­ganisation des Weisungsgebers«. Die in § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV genannten Merkmale sind damit schon nach dem Wortlaut der Vorschrift nur ›Anhaltspunkte‹ für eine persönliche Abhängigkeit, also im Regelfall typi­sche Merkmale einer Beschäftigung und keine abschließenden Bewertungskriterien.

Weisungsgebundenheit und Eingliederung in den Betrieb stehen dabei weder in einem Rangverhältnis zueinander noch müssen sie stets kumulativ vorliegen. Eine Eingliederung geht nicht zwingend mit ei­nem umfassenden Weisungsrecht einher. Die persönliche Abhängigkeit kann in Ausnahmefällen auch allein nur durch das Direktionsrecht des Auftraggebers (Arbeitgebers) oder durch die Eingliederung in den Betrieb des Auftraggebers gekennzeichnet sein. In der Regel sind aber beide miteinander ver­bunden.

Abhängiges Beschäftigungsverhältnis

Persönliche Abhängigkeit
des Auftragnehmers

↘→↗

Weisungsgebundenheit

Organisatorische Eingliederung

Kein Unternehmer‑ bzw. Kapitalrisiko

Gesamtschau der Vertragsbeziehung

Es waren in erster Linie die Arbeits‑ und Sozialgerichte sowie die Literatur, die den Begriff ›persönliche Abhängigkeit‹ mit Leben gefüllt haben. Die vom Bundessozialgericht in ständiger Recht­sprechung formulierten Kriterien zur persönlichen Abhängigkeit orientieren sich dabei grund­sätzlich am Typus des ›Arbeitnehmers‹, der in § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV als normativer Regelfall abhängiger Beschäf­tigung genannt wird.

Aufgrund der unmittelbaren Nähe des sozialversicherungs­rechtlichen ›Beschäftigten­begriffs‹ zum ›Arbeitnehmerbegriff‹ im arbeitsrechtlichen Sinne ist hat die Rechtsprechung der Arbeitsgerichte für die Sozialgerichte dabei eine grundsätzlich richtungsweisende indizielle Bedeutung. Die Sozialgerichte lassen daher bei der Feststellung eines Beschäftigungsverhältnisses im Sinne des Sozialversicherungs­rechts immer wieder auch die Rechtsprechung der Arbeitsgerichte in die Entscheidungsfindung mit ein­fließen. Allerdings haben die Sozialgerichte dabei den einzelnen Merkmalen teilweise ein anderes Gewicht beigemessen und darüber hinaus auch eigenständige Abgrenzungsmerkmale entwickelt.

Für Zweifelsfälle haben die Sozial‑ und Arbeitsgerichte eine Vielzahl von Kriterien genannt, nach denen die nichtselbständige von der selbständigen Erwerbsarbeit abgegrenzt werden kann. Wie die Ar­beits‑ und Sozialgerichte in ihren Entscheidungen immer wieder herausstellten, gibt es kein Einzel­merkmal, das aus der Vielzahl mög­licher Kriterien zwingend vorliegen muss um ein Beschäftigungs­verhältnis fest­stellen zu können. Auch gibt es keinen Katalog bestimmter Kriterien oder eine bestimm­te nume­rische Anzahl von Kri­terien, die erreicht sein muss, um zwingend zur Feststellung eines Beschäf­tigungsverhältnisses zu füh­ren.

Da sich eine persönliche Abhängigkeit auch aus Art oder Organisation der zu verrich­tenden Tätigkeiten ergeben kann, lassen sich abstrakte, für alle Beschäfti­gungsverhältnisse geltende Kriterien nicht auf­stellen. Bei der Frage, in welchem Maße der Mitarbeiter persönlich abhängig ist, ist deshalb immer auch die Eigenart der jeweiligen Tätigkeit zu berücksichtigen. Die wesentlichen Merkmale einer Tätig­keit sind daher stets In Form einer wertenden Beurteilung herauszustellen und zu gewichten.

Eigenart der Tätigkeit

Keine Bedeutung für die Statusbewertung hat hingegen eine wirtschaftliche Abhängigkeit des Auftrag­nehmers, da dessen Vermögensverhältnisse keinerlei Aussagekraft bezüglich der Ausgestaltung des Dienstverhältnisses zukommt.

Wertende Betrachtung

Keines der von der Rechtsprechung entwickelten Abgrenzungskriterien erlaubt für sich allein betrach­tet eine Abgrenzung der abhängigen Erwerbsarbeit von einer selbständigen Tätigkeit. Die Arbeits‑ und Sozialgerichte stellen in ihren Entscheidungen immer wieder heraus, dass es für die Abgrenzung von selbständiger und nichtselbständiger Erwerbsarbeit kein Einzelmerkmal gibt, das aus der Vielzahl mög­licher Kriterien zwingend vorliegen muss, um ein Beschäftigungsverhältnis feststellen zu können. Auch gibt es weder einen Katalog bestimmter Kriterien noch eine bestimmte numerische Anzahl von Krite­rien, die erreicht sein muss um zwingend zur Feststellung eines Beschäftigungsverhältnisses zu füh­ren.

In Form einer typisierenden Betrachtung müssen alle im Einzelfall in Betracht kommenden Umstände festgestellt und deren Tragweite gewichtet werden. Danach hat eine nachvollziehbare, logische und widerspruchsfreie Abwägung der Merkmale zu erfolgen. Für die Bestimmung des ›Typus‹ ist es nicht entscheidend, ob rein zahlenmäßig mehr Indizien für oder gegen eine abhängige Beschäftigung bzw. selbständige Tätigkeit sprechen. Entscheidend sind jeweils ihre Verbindung sowie die Intensität und die Häufigkeit ihres Auftretens im konkreten Einzelfall.

Bei der wertenden Betrachtung ist grundsätzlich zu unterscheiden zwischen den Kriterien, die feste Tatbestände definieren und den Kriterien, die graduell variieren. So zählen z. B. die Anmeldung eines Gewerbes oder die Zulässigkeit einer weiteren Erwerbstätigkeit zu den festen Tatbeständen, während das Kriterium der ›Weisungsgebundenheit‹ in abgestufter Form vorhanden sein kann und daher un­gleich schwieriger zu bewerten ist.

Zu beachten ist zudem, dass zwischen dem Vorliegen und dem Nichtvorliegen eines Kriteriums im Hinblick auf die Gewichtung differenziert werden muss. Z. B. spricht das Nichtvorhandensein eines Unter­nehmerrisikos sehr stark dafür, dass es sich um eine nichtselbständige Erwerbsarbeit handelt, wohingegen das Vorliegen des Merkmals ›Unter­nehmerrisiko‹ zwar für Selbständigkeit spricht, aber keineswegs mit demselben Gewicht. Auch ist zu beachten, dass es sich bei dem Kriterium ›Unter­nehmerrisiko‹ nur hinsichtlich der Variante ›Nichtvorliegen‹ um eine absolute Größe handelt.

Für die Annahme, dass die Tätigkeit einer Person dem ›Typus‹ entspricht, ist es nicht erforderlich, dass die Tätigkeit sämtliche als idealtypisch erkannten, also den Typus kennzeichnenden Merkmale auf­weist. Die als typisch angesehenen Merkmale müssen lediglich in solcher Zahl und Intensität vor­handen sein, dass die Tätigkeit ›im Ganzen‹ dem Erscheinungsbild des Typus entspricht. Ob jemand beschäftigt oder selbständig tätig ist, hängt letztendlich also davon ab, welche der festgestellten Merk­male in der Gesamtbetrachtung dem jeweiligen Typus entsprechen.

Trotz den mit der begrifflichen Unbestimmtheit für die Vertragspartner verbundenen Rechtsunsicher­heiten wurde die typisierende Statusbewertung vom Bundesverfassungsgericht als rechtlich unbedenk­lich eingestuft.

Unbestimmtheit des ›Beschäftigungsverhältnisses‹ → Beschluss des BVerfG zu § 7 SGB IV

SVMWIndex k1s5a2

Direktions‑ bzw. Weisungsrecht des Arbeitgebers

Leitsatz
  1. Bei dem Weisungsrecht handelt es sich um ein Gestaltungsrecht, das der Arbeitgeber nicht nur ein­malig ausübt, sondern immer wieder ausüben kann.

Will der Unternehmer einen reibungslosen Betriebsablauf gewährleisten, so muss er die Möglichkeit haben, den Arbeitsablauf koordinieren zu können. Eine Koordination der Betriebsabläufe ist ihm aber grundsätzlich nur dann möglich, wenn die Erwerbspersonen ihre Arbeitskraft ständig zur Verfügung stellen und der Unternehmer damit das für die Koordination der Arbeitsabläufe erforderliche Leitungs­recht hat.

Die Verteilung von Weisungsrechten innerhalb des Betriebes stellt eine wichtige koordinative Maß­nah­me dar. Das für die Koordination der Arbeitsabläufe erforderliche Weisungsrecht kann der Unter­nehmer regelmäßig nur sicherstellen, wenn er mit den Auftragnehmern einen Arbeitsvertrag schließt. Der Arbeitsvertrag ist ein Dauerschuldverhältnis, das auf wiederkehrende, sich über einen längeren Zeit­raum wiederholende Leistungen und Gegenleistungen gerichtet ist und nur einmal in einem Ver­trag vereinbart werden muss. Mit dem Abschluss eines Arbeitsvertrages wird der Unternehmer zum Arbeit­geber des Arbeitnehmers. In großen Betrieben wird das Weisungsrecht üblicherweise von oben nach unten delegiert, das heißt die Arbeitnehmer erhalten ihre konkreten Arbeitsanweisungen von ihren jeweiligen unmit­telbaren Vorgesetzten.

Vertragsbeziehung → Arbeitsvertrag

SVMWIndex k1s5a3

Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers

Leitsätze
  1. Die Eingliederung des Mitarbeiters in den Betrieb des Auftraggebers ist ein wichtiges Krite­rium für die Annahme der Arbeitnehmerstellung.

  2. Der ständigen Zusammenarbeit mit anderen Mitarbeitern des Auftraggebers bzw. der Unter­ordnung unter diese kommt eine erhebliche Bedeutung zu.

SVMWIndex k1s5a4

Eigenart der Tätigkeit

Leitsätze
  1. Einem bestimmten Abgrenzungsmerkmal kann aufgrund der Eigenart der Tätigkeit im Rah­men der vorzunehmenden Gesamtschau des Vertragsverhältnisses durchaus eine unter­schiedliche Gewichtung zukommen.

  2. Einfache Tätigkeiten eigenen sich grundsätzlich nicht für ein freies Dienstverhältnis.

  3. Bei Diensten höherer Art kann das Weisungsrecht des Arbeitgebers in der Praxis soweit ab­gemildert sein, sodass es sich lediglich in der Form der zweckdienlichen Teilhabe des Arbeit­nehmers an den betrieblichen Abläufen darstellt.

Dienste höherer Art

Arbeitgeber bedienen sich regelmäßig Fachkräfte, die wegen ihrer besonderen fachlichen Qualifika­tionen keiner konkreten Einzelanweisung bedürfen und ihre Tätigkeit eigenverantwortlich und eigen­ständig ausführen. Allein der Umstand, dass die Tätigkeit mit größeren Möglichkeiten eigenverant­wort­licher Gestaltung bei der Umsetzung versehen wird, spricht jedoch noch nicht gegen ein Arbeits‑ oder Beschäftigungsverhältnis. Eine abhängige Erwerbs­arbeit kann bei ›Diensten höherer Art‹ selbst dann vorliegen, wenn dem Dienstverpflichteten ein hohes Maß an Gestaltungsfreiheit, Eigen­initiative und fachlicher Selbständigkeit verbleibt.

Selbst die nahezu ohne besondere (konkrete) Weisung erbrachte Arbeitsleistung ist dann fremdbe­stimmt, wenn die Erwerbsperson in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers eingegliedert ist und damit die Arbeitsleistung von der Ordnung des jeweiligen Auftraggebers geprägt wird. Vor allem bei Diensten höherer Art kann das Weisungsrecht des Arbeitgebers dabei in der Praxis soweit abgemildert sein, sodass es sich lediglich in der Form der zweckdienlichen Teilhabe des Arbeitnehmers an den be­trieb­lichen Abläufen darstellt. In einem solchen Fall verfeinert sich die Weisungsgebundenheit des Beschäf­tigten zur sogenannten ›funktionsgerechten Teilhabe am Arbeitsprozess‹.

Funktionsgerechte Teilhabe am Arbeitsprozess

Dienste höherer Art

↙ ↓ ↘

Studienberufe
Ärzte, Rechtsanwälte,
Architekten, usw.

Besondere Qualifikation
hohe persönliche und
fachliche Kompetenz

Leitungsfunktionen
Vor­standsmitglieder,
Geschäftsführer usw.

Eigenverantwortlichkeit und inhaltliche Freiheiten bei der Aufgabenerfüllung sind erst dann ein aus­sagekräftiges Indiz für Selbständigkeit, wenn sie nicht mehr innerhalb des Rahmens dienender Teil­habe am Arbeitsprozess zu verorten sind und insbesondere eigennützig durch den Auftragnehmer zur Steigerung seiner Verdienstchancen eingesetzt werden können. Solches wird typischerweise eher anzu­nehmen sein, wenn es sich um höherwertige Tätigkeiten handelt und die Honorierung des Auf­tragnehmers vom Arbeitsergebnis und ‑erfolg abhängig ist (z. B. von Umsatz‑ und Verkaufszahlen, gestaffelten Provisionen usw.), nicht dagegen in gleicher Weise, wenn sich die Vergütung vornehmlich nach dem zeitlichen Umfang des geleisteten Arbeitsaufwandes richtet.

Einsatz der eigenen Arbeitskraft

Der Zuordnung einer Tätigkeit zu den sogenannten ›Freien Berufen‹ kommt kein normativer Charakter dergestalt zu, dass die Angehörigen eines solchen Berufs grundsätzlich als Selbständige zu beurteilen sind. Auch bei Rechtsanwälten, die als Gesellschafter‐Geschäftsführer einer Anwalts‐GmbH tätig sind, ist eine Sozialversicherungspflicht aufgrund einer abhängiger Beschäftigung nicht von vornherein deshalb ausgeschlossen, weil Rechtsanwälte unabhängige Organe der Rechtspflege sind. Losgelöst von ihrer fachlichen Unabhängigkeit können Rechtsanwälte auch in einer Position als Geschäftsführer aufgrund abhängiger Beschäftigung sozialversicherungspflichtig sein, wenn sie in das Unternehmen eingegliedert sind und gesellschaftsrechtlichen Weisungen durch die Gesellschafterversammlung unter­liegen.

Tätigkeitsstatus → ›Freie Berufe‹

Tätigkeitsstatus → GmbH Gesellschafter/Geschäftsführer

SVMWIndex k1s5a5

Programmgestaltende Mitarbeit

Leitsätze
  1. Der in den Schranken der allgemeinen Gesetze gewährleistete Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG umfasst das Recht der Rundfunkanstalten, frei von fremdem, insbesondere staat­lichem Einfluss über die Auswahl, Einstellung und Beschäftigung derjenigen Mitar­beiter zu bestimmen, die an Hörfunk‑ und Fernsehsendungen inhaltlich gestaltend mit­wirken.

  2. Regelungen des Sozialversicherungsrechts und die damit verbundenen finanziellen Folgen werden nicht durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG berührt.

Unvereinbar mit der Rundfunkfreiheit sind nicht nur unmittelbare Einflussnahmen Dritter auf das Pro­gramm, sondern auch Einflüsse, die die Programmfreiheit mittelbar beeinträchtigen können. Auf­grund des Zusammenhangs zwischen Programmfreiheit und Personalentscheidungen umfasst der Schutz der Rundfunkfreiheit auch die Entscheidung darüber, ob solche Mitarbeiter fest angestellt wer­den oder ob ihre Mitarbeit aus Gründen der Programmplanung auf eine gewisse Dauer oder ein gewisses Projekt zu beschränken ist und wann, wie oft oder wie lange ein Mitarbeiter benötigt wird. Dies schließt die Befugnis ein, bei der Begründung von Mitarbeiterverhältnissen den insoweit jeweils geeigneten Ver­trags­typ zu wählen.

Rechtsfigur des Typus → Programmgestaltende Mitarbeiter

Eine programmgestaltende Tätigkeit ist nicht nur im Rahmen einer selbständigen Mitarbeit möglich, sondern ebenso auf der Grundlage eines Arbeitsverhältnisses. Die Rundfunkfreiheit steht den arbeits­rechtlichen Regelungen nur dann entgegen, wenn diese den Rundfunk‑ und Fernsehanstalten die zur Erfüllung ihres Programmauftrags notwendige Freiheit und Flexibilität nehmen würde.

Programmgestaltende Mitarbeiter → Befristung des Arbeitsverhältnisses

Auch bei programmgestaltenden Mitarbeitern kann daher – entgegen der ausdrücklich getroffenen Ver­ein­barung – ein Arbeitsverhältnis vorliegen, wenn sie weitgehenden inhaltlichen Weisungen unterlie­gen, ihnen also nur ein geringes Maß an Gestaltungsfreiheit, Eigeninitiative und Selbständigkeit ver­bleibt, und der Sender innerhalb eines zeitlichen Rahmens über ihre Arbeitsleistung verfügen kann.

Soweit programmgestaltende Mitarbeiter sehr lange Zeit hindurch in nicht erheblichem Umfang be­schäftigt worden sind, kann dies ein Indiz dafür sein, »dass für die Anstalt kein Bedürfnis nach einem Wechsel besteht, während auf der anderen Seite die soziale Schutzbedürftigkeit solcher Mit­arbeiter im Laufe der Zeit wachsen wird«.

SVMWIndex k1s5a6

Weisungsrecht bezüglich der Arbeitszeit

Leitsätze
  1. Eine zeitliche Verfügungsmacht hat der Auftraggeber, der zur Koordination des Arbeits­einsatzes einseitig Dienstpläne aufstellen darf.

  2. Zeitliche Weisungsgebundenheit ist auch dann gegeben, wenn vom Auftragnehmer stän­dige Dienstbereitschaft erwartet wird, oder wenn er im nicht unerheblichem Umfang auch ohne entsprechende Vereinbarung zu Diensten herangezogen wird.

  3. Darf der Auftragnehmer seine Arbeitszeit frei bestimmen, so spricht dies für seine Selb­ständigkeit.

SVMWIndex k1s5a7

Weisungsrecht bezüglich des Arbeitsortes

Leitsätze
  1. Ausschlaggebend für die arbeitsrechtliche Definition ›Betrieb‹ ist die organisatorische Ein­heit.

  2. Das Fehlen einer eigenen Betriebsstätte kann für die Annahme einer abhängigen Be­schäftigung ein wesentliches Indiz sein.

SVMWIndex k1s5a8

Fachliches Weisungsrecht

Leitsätze
  1. Unterstellungsverhältnisse ermöglichen eine klare Kontrolle der Aufgabenerfüllung und sind mit einer Selbständigkeit des Auftragnehmers nicht vereinbar.

  2. Bei Diensten höherer Art genügt im Arbeits‑ und Sozialrecht die ›funktionsgerechte Teil­habe am Arbeitsprozess‹.

SVMWIndex k1s5a9

Unternehmerrisiko

Leitsätze
  1. Echtes Unternehmerrisiko bedeutet den Einsatz eigenen Vermögens mit der Aussicht auf Gewinn, aber auch mit dem Risiko des Verlustes.

  2. Freiheiten in der Gestaltung und der Bestimmung des Umfangs beim Einsatz der eigenen Arbeitskraft sind nur dann als Indiz für Selbständigkeit anzusehen, wenn gerade hier­aus verbesserte Verdienstchancen erwachsen.

SVMWIndex k1s5a11

Höhe des Honorars

Leitsätze
  1. Liegt das vereinbarte Honorar deutlich über dem Arbeitsentgelt eines vergleichbar ein­ge­setzten sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmers, handelt es sich unter weiteren Vor­aussetzungen um ein gewichtiges Hilfskriterium.

  2. Eine abhängige Beschäftigung liegt im Umkehrschluss nahe, wenn das gewährte Stun­denhonorar betragsmäßig im Bereich dessen liegt, was eine entsprechende abhängig be­schäftigte Fachkraft tariflich oder einzelvertraglich als Vergütung erhalten würde.

SVMWIndex k1s5a12

Formale Merkmale (Hilfskriterien)

Leitsatz
  1. Aus den formalen Merkmalen sind zwingende Schlussfolgerungen im Hinblick auf die status­rechtliche Einstufung der Vertragsbeziehung nicht möglich.

SVMWIndex k1s5a13