Die Beurteilung einer Vertragsbeziehung kann nur unter Berücksichtigung der Rechtsgrundsätze des jeweiligen Rechtsgebietes erfolgen.
Einheit der Rechtsordnung ist ein fachsprachlicher Ausdruck der Rechtswissenschaft, der die jeweilige Rechtsordnung als Einheit beschreibt, die sich nicht widersprechen soll. Die Fülle der Rechtsnormen wird also als widerspruchsfreies System betrachtet. So hat der Gesetzgeber z. B. bei den Abgaben das in der Sozialversicherung beitragspflichte Arbeitsentgelt eng an den steuerpflichtigen Arbeitslohn gekoppelt.⚖
Der Begriff ›Arbeitsentgelt‹ → Weitgehende Übereinstimmung mit den Regelungen des Steuerrechts
Einheit der Rechtsordnung bedeutet aber nicht, dass Gesetzesbegriffe in jedem Gesetz in gleichem Sinne verwendet werden müssen. Es gilt der allgemeine Grundsatz der Relativität der Rechtsbegriffe und die grundsätzliche Freiheit des Gesetzgebers für ein jeweiliges Gesetz, Gesetzesbegriffe zu verwenden, die von gleich oder ähnlich lautenden Gesetzesbegriffen abweichen.⚖ Nur bei wirklich gleicher Interessenlage folgt aus der Einheit der Rechtsordnung, dass die Auslegung verschiedener Gesetze auch gleich zu erfolgen hat.⚖
Auch bei der Statuseinstufung einer Vertragsbeziehung gilt das rechtsstaatliche Gebot, die Einheit der Rechtsordnung zu wahren.⚖ Deshalb streben sowohl die Gerichte wie auch die Verwaltung eine möglichst gleichartige Statuseinstufung in den Rechtsgebieten des Arbeits‑, Sozialversicherungs‑ und Steuerrecht an. Auch bei der statusrechtlichen Beurteilung einer Vertragsbeziehung ist aber stets die gesetzliche Intension zu beachten. Die statusrechtliche Beurteilung einer Vertragsbeziehung kann deshalb letztlich immer nur unter Berücksichtigung der Rechtsgrundsätze des jeweiligen Rechtsgebietes erfolgen. Zudem ist es jeder Rechtsvorschrift immanent, dass sie von den Gerichten verschiedener Rechtsgebiete unterschiedlich ausgelegt wird.
Aufgrund der unterschiedlichen Zielsetzungen können deshalb in den Rechtsgebieten des Arbeits‑, Sozialversicherungs‑ und Steuerrechts für ein und dieselbe Vertragsbeziehung durchaus auch divergierende Statusbewertungen vorgenommen werden, ohne dass der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes zwingend zur Entscheidung der Rechtsfrage einzuschalten wäre.⚖
Rechtsgrundlage für die Errichtung des ›Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes‹ ist Art. 95 Abs. 3 GG. Das Gesetz zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes (RsprEinhG) regelt die Einzelheiten. Der Gemeinsame Senat ist kein eigenständiges oberstes Bundesgericht, sondern wurde vielmehr als Vermittlungsorgan zwischen den obersten Bundesgerichten eingerichtet.
Der Gemeinsame Senat hat eine Rechtsfrage zu entscheiden, wenn ein oberstes Bundesgericht in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen obersten Bundesgerichts oder des Gemeinsamen Senats abweichen will. Das vorlegende Gericht ist an die Entscheidung der Rechtsfrage durch den gemeinsamen Senat gebunden. Dadurch soll die Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes gewährleistet werden.
SVMWIndex k1s3a1
Die Definition einer nichtselbständigen Erwerbsarbeit ist im Sozialversicherungs‑, Arbeits‑ und Steuerrecht weitgehend übereinstimmend.
Aufgrund der unterschiedlichen Zielsetzungen können in den Rechtsgebieten des Arbeits‑, Sozialversicherungs‑ und Steuerrechts für ein und dieselbe Vertragsbeziehung auch divergierende Statusbewertungen vorgenommen werden.
Wenn nach arbeitsrechtlichen Grundsätzen ein Arbeitsverhältnis vorliegt ist regelmäßig auch von einem Beschäftigungsverhältnis im Sinne des Sozialversicherungsrechts auszugehen.
SVMWIndex k1s3a2
Das Sozialversicherungsrecht gehört rechtssystematisch zum öffentlichen Recht und basiert auf dem Grundgedanken eines indisponiblen Versicherungsschutzes.
Im Jahr 1999 unternahm die Bundesregierung den Versuch, das Problem der ›Scheinselbständigkeit‹ durch eine gesetzliche Neuregelung in den Griff zu bekommen. Über den seinerzeit neu geschaffenen § 7 Abs. 4 SGB IV wurde der Begriff des ›vermuteten Beschäftigungsverhältnisses‹ eingeführt. Über die gesetzliche Neuregelung sollte die Feststellung eines Beschäftigungsverhältnisses erleichtert werden. Das Gegenteil war jedoch der Fall. Die gesetzlichen Neuregelungen führten in der Praxis zu erheblichen Fehlinterpretationen. Die Probleme ergaben sich im Wesentlichen aus Missverständnissen über die rechtliche Tragweite der Neuregelungen und aus divergierenden Entscheidungen der Versicherungsträger über die Frage, ob eine Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit vorliegt.
Der hieraus resultierende öffentliche Druck zwang den Gesetzgeber bereits im Dezember 1999 zu einer rückwirkenden Änderung des § 7 Abs. 4 SGB IV. Alle Versuche von Sozialrechtlern, mit Hilfe der verfehlten Neugestaltung des § 7 Abs. 4 SGB IV einen eigenständigen sozialversicherungsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff zu konstruieren, erwiesen sich als ebenso unhaltbar wie der Versuch von Arbeitsrechtlern, aus § 7 Abs. 4 SGB IV Rückschlüsse auf den arbeitsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff zu gewinnen. Mit Wirkung zum 1. Januar 2003 hat der Gesetzgeber den Interpretationen dadurch Einhalt geboten, dass er den Begriff des ›vermuteten Beschäftigungsverhältnisses‹ wieder aus dem Gesetz entfernte.
Das im alten § 7 Abs. 4 SGB IV vom Gesetzgeber fingierte sogenannte ›Vermutete Beschäftigungsverhältnis‹ hat damit zwar keine unmittelbare Bedeutung mehr, die dort genannten Kriterien sind aber im Rahmen einer Statusüberprüfung auch weiterhin Merkmale, die auf ein Beschäftigungsverhältnis hindeuten.
Das formelle Vertragsverhältnis → Besonderer Fokus im Rahmen der Sozialversicherungsprüfung
SVMWIndex k1s3a3
Abschluss, Inhalt und Form des Arbeitsvertrages können frei vereinbart werden, soweit nicht zwingende gesetzliche Vorschriften, Bestimmungen eines anwendbaren Tarifvertrages oder eine Betriebsvereinbarung dem entgegenstehen.
SVMWIndex k1s3a4
Die Entscheidungen der Finanzverwaltung und ‑gerichte sind im Einzelfall auch durch Elemente einer fiskalischen Vereinfachung beeinflusst.
SVMWIndex k1s3a5