Nicht jeder Verfahrens‑ oder Formfehler macht den Verwaltungsakt nichtig.
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Behördliche Entscheidungen können nach §§ 44 ff. SGB X nur unter bestimmten verfahrensrechtlichen Besonderheiten korrigiert werden.
Die §§ 44 ff. SGB X sind der Ausfluss des im Sozialrecht innewohnenden Rechtsgedankens, dass die materielle Gerechtigkeit und Richtigkeit den Vorrang vor der Rechtssicherheit genießen muss. Hat eine Behörde im Einzelfall das Recht falsch angewandt oder ist von einem falschen Lebenssachverhalt ausgegangen, kann sie sich nicht darauf berufen, dass die Verwaltungsentscheidung bindend geworden ist. Dieses Recht folgt aus dem im Grundgesetz verankerten Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, wonach die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung an Gesetz und Recht gebunden sind.⚖
Bei der Korrektur behördlicher Entscheidungen spielen insbesondere die Vorschriften zur Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsaktes nach § 45 SGB X und zur Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung nach § 48 SGB X eine besondere Rolle.
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Der § 44 SGB X regelt Fälle der Rücknahme eines nicht begünstigenden Verwaltungsaktes wegen anfänglicher Rechtswidrigkeit.
Ein Überprüfungsantrag muss an die Behörde gerichtet werden, die den zu beanstandenden Verwaltungsakt zuvor erlassen hat.
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Der § 45 SGB X regelt Fälle der Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsaktes wegen anfänglicher Rechtswidrigkeit.
Die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsaktes ist nur dann zulässig, wenn sich der Begünstigte nicht auf den Vertrauensschutz berufen kann.
Sind die jeweils zu beachtenden Fristen noch nicht verstrichen, ist nach § 45 Abs. 2 SGB IV zu prüfen, ob der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und dieses Vertrauen unter Abwägung mit dem allgemeinen öffentlichen Interesse an der Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte schutzwürdig ist.⚖
Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist.⚖ Deshalb haben das in den Verwaltungsakt gesetzte Vertrauen des Begünstigten und seine daraufhin erfolgten Dispositionen in die Abwägung über die Bestandskraft der Entscheidung einzufließen.
Dem Vertrauensschutz nach § 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X wird regelmäßig der Vorrang eingeräumt, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Demgegenüber wird ein Vertrauensschutz durch § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X ausgeschlossen, soweit der Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt, auf zumindest grob fahrlässigen Angaben des Begünstigten beruht oder dieser die Rechtswidrigkeit kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht erkannt hat.⚖
Erwirkung des begünstigenden Verwaltungsaktes |
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Falsche Angaben |
Kenntnis des Begünstigten |
Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nrn. 1 bis 3 SGB X nicht berufen:
Soweit der Begünstigte den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat. Eine arglistige Täuschung liegt regelmäßig dann vor, wenn eine Täuschung über Tatsachen vorsätzlich erfolgt, der Täuschende also weiß und will, dass sein Verhalten zu einem Irrtum des Getäuschten führen werde. Die genannten Handlungen müssen für den Erlass des (fehlerhaften) Verwaltungsaktes kausal gewesen sein.
Soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.
Vorsatz liegt vor, wenn die Angaben wissentlich und gewollt unrichtig bzw. unvollständig gemacht worden sind. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt wurde.
Unrichtig sind Angaben, die nicht den Tatsachen entsprechen. Unvollständig sind Angaben, wenn relevante Tatsachen verschwiegen werden. Die unrichtigen oder unvollständigen Angaben müssen für die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kausal gewesen sein.
Soweit der Begünstigte die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Die ›Bösgläubigkeit‹ muss bereits bei Bekanntgabe des rechtswidrigen Verwaltungsaktes vorliegen.
⇰ In diesen Fällen wird der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. Die Behörde muss dies innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen.⚖
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Der § 48 SGB X regelt die Aufhebung von Verwaltungsakten mit Dauerwirkung für Fälle, in denen sich die bei Bescheiderteilung vorgelegen Verhältnisse wesentlich geändert haben.
Eine zum Nachteil des Betroffenen geänderte höchstrichterliche Rechtsprechung darf aus Gründen des Vertrauensschutzes nicht rückwirkend zu dessen Lasten angewendet werden.
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